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Projekt-Info

Mitwirkende

Isolde Brade, Günter Herfert, Carola S. Neugebauer, Christian Smigiel, Karin Wiest

Kooperation(en)

Konstantin Axionow (Universität St. Petersburg), Iskra Dandolova (Bulgarische Akademie für Wissenschaften, Sofia), Zoltán Kovács (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest), Dovile Krupickaite (Universität Vilnius)

Dauer

01/2007–09/2011

Förderung

Deutsche Forschungsgemeinschaft

Kontakt

Isolde Brade
I_Brade(at)leibniz-ifl.de
Tel.: +49 341 600 55-112

Zwischen Gentrification und Abwärtsspirale

Sozialräumlicher Wandel und Persistenzen in Wohnquartieren ausgewählter Stadtregionen des mittleren und östlichen Europa

Während der staatssozialistischen Stadtentwicklungsphase hatte Segregation als Projektion sozialer Ungleichheit im Raum keine annähernd vergleichbare Bedeutung wie in den westeuropäischen Städten. Grundsätzlich war die Wohnungsallokation keine Frage des Vermögens und Einkommens, sondern der wohnungspolitischen Vergabe- und Zuteilungspraxis. Seit dem Zerfall der zentral gesteuerten Regulationsmechanismen zu Beginn der 1990er Jahre verstärken sich die Fragmentierungsprozesse auch in den Stadtregionen des mittleren/östlichen Europa, ist eine zunehmende Segregation und sind Ansätze einer sozialen Polarisierung zwischen den Wohnquartieren erkennbar.

Ziel des Forschungsprojektes war der Vergleich postsozialistischer Entwicklungspfade in Stadtregionen des mittleren/östlichen Europa sowohl hinsichtlich ihrer zunehmenden sozialräumlichen Differenzierung durch Auf- und Abwertungsprozesse von Wohnquartieren wie auch ihrer Persistenzen. Untersucht wurden sowohl sozialräumliche als auch symbolische Differenzierungsmuster in den jeweiligen Stadtregionen unter den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die stadtregionale Betrachtungsweise zielte dabei auf die Aufdeckung der Wechselwirkungen zwischen den innerstädtischen und suburbanen Wohnungsteilmärkten. Diese Prozesse wurden in fünf Stadtregionen des mittleren/östlichen Europa untersucht: St. Petersburg, Budapest, Sofia, Vilnius, Leipzig.

Ergebnisse/Publikationen

In allen Stadtregionen (außer Leipzig) sind für die innerstädtischen Wohnquartiere vor allem punktuelle Aufwertungsprozesse in Form von baulicher Aufwertung und Zuzug einkommensstarker, hoch qualifizierter Bevölkerungsschichten zu beobachten. Charakteristisch ist das kleinräumige Nebeneinander von sozialen und baulichen Auf- und Abwertungen. Gleichzeitig konzentriert sich in den Stadtregionen die Wohnraumnachfrage der oberen Mittel- und Oberschicht auf die neu gebauten, mehrgeschossigen Wohnkomplexe und suburbanen Einfamilienhausgebiete.

In den untersuchten Großwohnsiedlungen der 1970er Jahre sind aktuell persistente Bewohnerstrukturen bzw. Tendenzen soziostruktureller Abwertung zu beobachten. Abwertungstendenzen zeigen sich in Stadtregionen, wo der Nachfrage auf dem Markt ein größeres Wohnraumangebot gegenübersteht, wie in Leipzig und Budapest. Inwieweit sich in Zukunft diese soziostrukturellen Abwertungen in den Großwohnsiedlungen verfestigen bzw. neu in Gang gesetzt werden, scheint vor allem  davon abzuhängen, wie es in den Stadtregionen gelingt, dem hohen Sanierungsbedarf der Gebiete erfolgreich und schnell zu begegnen. Denn noch genießen die Großwohnsiedlungen in den Stadtregionen des östlichen Europa eine breite Akzeptanz  in der Bevölkerung und weist die Bewohnerschaft weitgehend nachhaltig gemischte Strukturen auf.

Wohnideale in mittel- und osteuropäischen Städten werden stark vom eigenen Haus im Grünen dominiert. Nur in der Stadtregion Leipzig ist eine Abkehr von diesem Wohnmodell und eine wachsende Nachfrage nach innerstädtischen Wohnformen zu erkennen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit sich entsprechende Reurbanisierungstrends in mittel- und osteuropäischen Städten in Zukunft durchsetzen könnten bzw. ob die Präferenzen auch langfristig auf das Wohnen in Suburbia ausgerichtet sein werden.

Geschlossene und bewachte Wohnkomplexe sowohl in Form neuer suburbaner Wohnformen als auch unterschiedlicher innerstädtischer Wohnprojekte repräsentieren eine sich dynamisch entwickelnde Wohnform. In allen betrachteten Stadtregionen mit Ausnahme von Leipzig hat diese Wohnform erheblich an Bedeutung gewonnen. Das liegt auch an der generell veränderten politisch-ökonomischen Situation im mittleren und östlichen Europa, die in vielen Städten dazu geführt hat, dass Stadtentwicklung zum großen Teil von den Interessen privater Investoren dominiert wird. Charakteristisch für diese neoliberale Entwicklung sind Deregulierung, Dezentralisierung und Privatisierung, d.h. ein Rückzug staatlicher Institutionen aus Gestaltung und Planung von Stadtentwicklung. Konkret äußert sich dies darin,  dass die Bereitstellung von Wohnraum durch die öffentliche Hand in vielen Stadtregionen des östlichen Europa nicht mehr stattfindet. Private Investoren sind in dieses Vakuum getreten und errichten für die, die es sich leisten können, komplette Wohnwelten. Die Motivation der Bewohner für ein Leben hinter Mauern erklärt sich denn auch aus dem Wunsch nach Prestige und einer generellen Unsicherheit resultierend aus dem Wegfall sozialer Sicherheiten, Normen und Werte in sich zunehmend entsolidarisierenden Gesellschaften. Dass diese neue Wohnwelten jedoch ebenfalls nicht konfliktfrei sind, zeigen Untersuchungen geschlossener und bewachter Wohnkomplexe in Budapest, Sofia, St. Petersburg und Vilnius.

Die bisherigen Analysen der Einzelfallstudien verdeutlichen, dass die untersuchten Stadtregionen des mittleren/östlichen Europa vor allem durch die Gleichzeitigkeit und das kleinräumige Nebeneinander von baulicher und sozialer Auf- und Abwertung geprägt sind. Aktuell steht die Frage im Mittelpunkt, inwiefern diese Parallelität zu sozialräumlicher Polarisierung führt oder eher sozialräumliche Fragmentierung hervorbringt.

Publikationen (nach Themengebiet):

Großwohnsiedlung

Brade, Isolde / Carola S. Neugebauer / Axenov, Konstantin (2011): Großwohnsiedlungen in St. Petersburg zwischen sozialräumlicher Polarisierung und Persistenz. In: Geographica Helvetica 66 (1), S. 42-53.

Neugebauer, Carola / Wiest, Karin / Krupikaite, Dovile (2011): Zukunftsperspektiven mittel- und osteuropäischer Großwohnsiedlungen zwischen Wohnungsmarkt, Bewohnerinitiative und Förderpolitik. In: Raumforschung und Raumordnung: 69 (1), S. 29-43.

Wiest, Karin (2012): Large scale housing Estates in Central and East European Cities: Between Residential Preferences and local Housing market Differences. In: Housing, Theory and Society (http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/14036096.2011.592213)

Herfert, Günter / Neugebauer, Carola Silvia / Smigiel, Christian: Living in residential satisfaction? Insights from large-scale housing estates in Central and Eastern Europe. In:Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie.

Herfert, Günter/ Kovacs, Zoltan: Development Pathways of Large Housing Estates in Post-socialist Cities: An international comparison. In: Housing Studies3, 324-342


Suburbanisierung

Smigiel, Christian / Brade, Isolde (2011): Suburbanisierung im östlichen Europa im Zeitalter neoliberaler Stadtentwicklung. In: disP – the planning review, 185, 2/2011 S. 27-43.

Leetmaa, Kadri / Brade, Isolde / Anniste, Kristi / Nuga, Mari (2011): Socialist Summer-home Settlements in Post-socialist Suburbanisation. In: Urban Studies. Online

Brade, Isolde / Smigiel, Christian / Kovacs, Zoltan (2009): Suburban residential development in post-socialist urban regions: The case of Moscow, Sofia and Budapest. In: Kilper, H.(Hrsg.): German Annual of Spatial Research and Policy 2009, Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York, S. 79-104. 

Gesamtstädtischer Wandel


Herfert, Günter; Neugebauer, Carola Silvia; Konstantin Eduardovitch Axenov (2012): Neue sozialräumliche Entwicklungstrends in innerstädtischen Wohnquartieren des mittleren und östlichen Europa? In: disP ? The Planning Review (4/2012): pages 29-44.

Isolde Brade, Carola Neugebauer (2010): Sage mir, wo Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist: Sozialräumlicher Wandel in postsozialistischen Stadtregionen. In: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.): Von der Transformation zur europäischen Integration. IWH-Sonderhefte 3, Halle. S. 293-309.

Brade, Isolde / Herfert, Günter / Wiest, Karin (2009): Recent Trends and future prospects of socio-spatial differentiation in urban regions of Central and East Europe: A lull before the storm? In: Cities, 26 (5), pp. 233-244.

Brade, Isolde / Herfert, Günter / Karin Wiest (2008): Sozialräumliche Differenzierung in Großstadtregionen des mittleren und östlichen Europa – ein Überblick. In: Europa Regional 16 (1), S. 3–15.

Geschlossenes und bewachtes Wohnen

Smigiel, Christian (2010): Ein neuer Eiserner Vorhang im östlichen Europa? Eine Bestandsaufnahme des Booms geschlossener und bewachter Wohnkomplexen am Beispiel Sofia. In: Bohn, Thomas M. / Calic, Marie-Janine (Hrsg.): Urbanisierung und Stadtentwicklung in Südosteuropa vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. 47. Internationale Hochschulwoche der Südosteuropa-Gesellschaft.  In: Südosteuropa-Jahrbuch, H. 37. Sagner, München. S. 319-332.

Smigiel, Christian (Hrsg.) (2009): Gated and Guarded Housing in Eastern Europe. forum ifl, H. 11. Selbstverlag Leibniz-Institut für Länderkunde. Leipzig.

Smigiel, Christian / Gadecki, Jacek (2009): A paradise behind gates and walls: Gated communities in Eastern Europe and the promise of happiness. In: Bartetzky, Arnold / Schalenberg, Marc (Hrsg.): Urban Planning and the Pursuit of Happiness. European Variations on a Universal Theme (18th–21th c.). Jovis-Verlag. Berlin, S. 198-217.


Aus dem Projekt ist eine Ausstellung – "Wohnwelten im mittleren und östlichen Europa" – hervorgegangen mehr

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